Die Arbeit der Nacht by Glavinic Thomas

Die Arbeit der Nacht by Glavinic Thomas

Author:Glavinic, Thomas [Glavinic, Thomas]
Language: deu
Format: epub
Published: 2013-10-16T16:00:00+00:00


17

Er glaubte es kaum, als er am Mobiltelefon die Zeit ablas. Es war nach zehn. Er hatte elf Stunden geschlafen. Dennoch fühlte er sich nicht im mindesten erholt.

In der Küche merkte er, daß er am Vorabend beim Ägypter vergessen hatte, Brot fürs Frühstück zu besorgen. Er wärmte sich eine weitere Konservendose. Kaffee gab es, doch es war eine Sorte, die er nicht mochte. Er trank Mineralwasser.

Nach dem Essen schaffte er Ordnung. Er öffnete alle Fenster, damit es durchzog und frische Luft in die stickigen Räume drang. Er schüttelte das Bett auf. Er spulte die Kassetten zurück, deren dreifaches Surren das Zimmer erfüllte. Er stellte das schmutzige Geschirr in die Spülmaschine. Ohne es sich selbst einzugestehen, hielt er bei all diesen Verrichtungen immerzu Ausschau. Nach Veränderung. Nach Hinweisen. Nach etwas, das ihm am Tag zuvor nicht aufgefallen war.

Er duschte kalt. Die Augen schloß er dabei nicht. Aus vollem Hals sang er ein Seeräuberlied, in dem kielgeholt und über die Planke gegangen wurde. Als er sich im Zimmer abtrocknete, erblickte er die angebrochene Tafel Schokolade. Einen Moment zögerte er, dann griff er zu.

Innerhalb einer Stunde hatte er den ganzen Lastwagen ausgeräumt. Alles stand in der Wohnung. Alle Stühle, alle Regale, alle Schränke, alle Kartons. Ungeordnet zwar, doch mußte er nun nicht mehr das Haus verlassen. Er konnte sich neben der Arbeit die Bänder von vergangener Nacht ansehen.

Nicht ganz drei Stunden benötigte er, um alle Möbelstücke sauber zu wischen, auf Beschädigungen zu überprüfen und an ihren Platz zu rücken. Während neben ihm im Fernseher der Schläfer schlief, polierte Jonas den Lampenschirm, besserte ein Loch im Fauteuil aus und schliff Kratzer am Schrank ab. Bei jeder Gelegenheit schaute er zum Fernseher.

Der Schläfer schien eine ruhige Nacht gehabt zu haben. Ab und zu drehte er sich herum. Die meiste Zeit lag er friedlich da. Sogar Schnarchen meinte Jonas zu hören. Er fragte sich, wieso er so müde war.

Zwischen Kassette 1 und 2 machte er Pause. In einer Küchenlade fand er ein Fertiggericht. Er wärmte es in einem kleinen Wok. Es war ungenießbar. Er fügte Sojasauce und Gewürze hinzu. Ohne Erfolg. Mit steinerner Miene trieb er den Öffner in eine weitere Dose Bohnensuppe.

Die zweite Kassette begann, wie die erste geendet hatte. Er spielte sie im Zeitraffer ab. Währenddessen räumte er ein. Auch in der Küche hatte er zu tun. Von dort war ihm die Sicht zum Fernseher verstellt, daher wechselte er für diese Minuten in die normale Wiedergabe und drehte die Lautstärke auf Maximum. Zusätzlich huschte er alle zwei Minuten hinüber ins Zimmer, um sich zu vergewissern, daß der Schläfer noch immer unter der Decke vergraben lag. Rechts stand das Bett, links gegenüber spiegelte es sich verkleinert im Fernseher. In diesem Spiegel lag er selbst und schlief.

Alles Geschirr von Familie Kästner wanderte auf die Müllhalde im Hinterhof. Nur einige Pfannen und Töpfe behielt er sich, weil er bemerkt hatte, daß die Ausstattung seines Vaters zu wünschen übrigließ. Er vermißte die Tasse mit dem Bären, aus der er als Kind getrunken hatte. Von den alten Gläsern waren nur noch drei vorhanden.



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